Welche Rolle nehmen die inneren Kinder in eurer Partnerschaft ein

13.06.2017 - Susanna Wolf
IFW Institut für Fort- und Weiterbildung

 

Paare sollten verstehen, wie sie in unterschiedlichen Situationen zueinander stehen. Interview mit der Autorin und IFW-Absolventin Alexandra Hartmann.

Alexandra, als Beziehungsexpertin unterstützt Du Singles und Paare dabei, ihre Blockaden zu erkennen und neue Wege zu einem zufriedeneren Miteinander zu finden. Was reizt Dich daran?

Als es in meiner ersten Ehe kriselte, konsultierten mein Mann und ich eine systemische Paartherapeutin. Und wie wir alle wissen, steckt in jeder Krise eine Chance! Denn obwohl unsere Partnerschaft nicht hielt, entstand durch die  Auseinandersetzung mit meinen eigenen Beziehungsthemen der Wunsch, das Arbeiten mit Paaren zu meiner beruflichen Zukunft zu machen. Die systemische Therapieausbildung baute dann optimal auf mein Psychologiestudium auf und half mir nach drei Kindern beim Wiedereinstig ins Berufsleben.

Ich finde es nach wie vor außerordentlich spannend, wenn zwei Systeme mit unterschiedlichen Vorstellungen aufeinandertreffen. Da kommt jeder mit großen Erwartungen in die Beziehung, wie und in welcher Konstellation z.B. Weihnachten gefeiert werden soll.  Wir alle sind von den Erlebnissen in unseren Ursprungsfamilien geprägt. Sei es, weil wir Bewährtes fortführen oder weil wir endlich alles anders machen wollen. Somit sitzen bei jedem Paar jederzeit die Schwiegereltern (wenn auch nur als imaginäre Auftraggeber) mit am Tisch. Das bietet reichlich Konflikt- und Entwicklungspotenzial. Am Ende muss jedes Paar sein eigenes Familiensystem entwickeln. Hoffentlich eines, in dem die unterschiedlichen Bedürfnisse aller im System Raum haben. Das ist eine Herausforderung.

 

In Deinem gerade erschienenen zweiten Buch Meine Bedürfnisse, Deine Bedürfnisse stellst Du die von Dir entwickelte Methode Patchwork mit dem inneren Kind vor. Welche Idee steckt dahinter?

Ich bin mittlerweile glücklich in zweiter Ehe verheiratet. Mein Mann und ich haben festgestellt, dass Patchwork am besten funktioniert, wenn jeder für seine Kinder die Verantwortung behält. In unserem Fall heißt das, ich für meine Drei und mein Mann für seinen Sohn. Dabei fiel mir auf: das lässt sich 1:1 auf Paarsysteme übertragen. Denn auch in die Paarbeziehung kommt jeder Partner quasi mit „Anhang“, also mit seinem jeweiligen inneren Kind, das die eigenen Bedürfnisse und Vorstellungen vertritt. Wie in der Patchwork-Konstellation, kümmert sich idealerweise jeder um sein inneres Kind, stellt es dem anderen vor, ist natürlich auch an den Bedürfnissen des anderen interessiert und gibt ihnen angemessenen Raum.

Oft höre ich von Klienten, mir geht’s so schlecht, weil mein Partner sich so und so verhält. Das ist die Opferrolle, in der man den anderen für sein Wohl oder Unwohl verantwortlich macht. Im Streit verlässt man gerne mal die Erwachsenen-Ebene und die inneren Kinder übernehmen die Regie, indem sie völlig destruktiv Du-Botschaften hin und her werfen. Nur: zwei wütende, aufgebrachte, verletzte Kinder finden sicher keine zufriedenstellende Lösung. Dazu braucht es die Erwachsenen. Anhand von Familienbrett-Figuren zeige ich den Klienten, in welcher Konstellation ihre inneren Kinder und ihre erwachsenen Teile gerade zueinander stehen. Diese Konstellationen sind auch als Abbildungen in meinem Buch zu finden.

In der Krise ist es zielführender, wenn sich die erwachsenen Teile begegnen und sich mittels Ich-Botschaften über die aktuellen Bedürfnisse ihrer inneren Kinder austauschen. So ist man nicht Opfer der Situation sondern Mitverantwortlicher der Krise. Diese Art der Gesprächsebene nenne ich die Botschafter des inneren Kindes. Dabei redet jeder über sich und seine Bedürfnisse und vermittelt dem anderen, was bei ihm los ist.

Das funktioniert natürlich nicht von heute auf morgen. Schon gar nicht nach einem Vertrauensbruch. Wieder eine stabile Basis zu schaffen, gelingt aus meiner Sicht am besten, wenn beide verstehen, wie es zu dem Bruch gekommen ist. Heilprozesse brauchen Zeit und man muss sich dem anderen mit Interesse für dessen Bedürfnisse zuwenden. Selbst, wenn man der Betrogene oder Verletzte ist. Allerdings immer auch mit den eigenen Bedürfnissen im Blick.

 

Kannst Du das an einem konkreten Beispiel erläutern?

Ina und Stefan kamen zu mir in die Praxis, weil Ina eine Affäre hat. Sie begründet das damit, dass Stefan immer so viel arbeitet und keine Zeit hat. Es sei seine Schuld, denn hätte er sich mehr um sie gekümmert, wäre das nie passiert. Und genau hier ist der Knackpunkt: Ina wünscht sich vergeblich mehr intime Kommunikation mit Stefan. Doch um ihre Vorstellungen zu leben, lagert sie das Problem aus und führt eine Außenbeziehung mit Till.

In kindlicher Haltung wirft sie Stefan vor: Nie sprichst DU mit mir! Immer bist DU mit anderen Dingen beschäftigt und für Sex bist DU auch meist zu müde! Der geht erst mal in Abwehrstellung.

Die Figuren im Bild oben zeigen deutlich, dass sich der erwachsene Teil von Ina zwar Stefan zuwendet, während ihr inneres Kind heimlich mit Till „spielt“.

So lange Ina die Verantwortung für die Erfüllung ihrer intimen Wünsche innerhalb der Beziehung nicht selbst übernimmt, macht sie sich zum Opfer und es wird sich nichts maßgeblich verändern. Auch in einer anderen Beziehung liefe sie Gefahr, nicht den nötigen Raum für ihre Bedürfnisse zu bekommen, beziehungsweise von ihrem Partner abhängig zu sein, dass er diese erahnt und erfüllt.

Wenn Ina wahrnimmt, was ihrem inneren Kind fehlt, warum es ihm fehlt, was es mit ihr und was es mit ihrer Partnerschaft zu tun hat, kann sie sich ihm zuwenden und sich mit ihren eigenen Gefühlen und Bedürfnissen auseinandersetzen. Vielleicht hatte sie bereits als Kind eine angemessene Bestätigung von den Eltern vermisst. Diese alte Verletzung hätte allerdings nichts mit der Beziehung zu Stefan zu tun und könnte entsprechend auch nicht von ihm geheilt werden.

Ina muss erst ihre inneren Prozesse sortieren und für ihr Handeln die Verantwortung übernehmen, dann kann sie gemeinsam mit Stefan verhandeln. Somit haben beide die Möglichkeit, ihren Vorstellungen innerhalb der Beziehung Raum zu geben.

Wer eine Affäre zum Anlass nimmt, Unstimmigkeiten in der Beziehung aufzudecken und daran zu arbeiten, hat die Möglichkeit, eine wunderbar stabile Beziehung zu schaffen. Natürlich muss es gar nicht erst so weit kommen, wenn man schon vorher auf seine Bedürfnisse achtet und gelernt hat, für ausreichenden Raum innerhalb der Beziehung zu sorgen.

 

Wie kommen die Klienten in Kontakt mit ihrem inneren Kind?

Ich fange mit der Herkunftsfamilie an, indem ich die Figur des inneren Kindes hinstelle und erkläre, dass dieser Teil schon da war, als sie selbst noch klein waren. Er ist in seinem Empfinden und Erleben von dem geprägt, was er in seinen Ursprungsbeziehungen gelernt hat. Der erwachsene Teil entwickelt sich erst mit der Zeit und um das innere Kind herum.

Ich lade die Leute ein, monotone Zeiten (wie z.B. die Fahrt zur Arbeit) zu nutzen, um die Aufmerksamkeit auf sich selbst zu richten: Wie geht’s mir heute? Warum geht’s mir so? Was nehme ich auf der Körperebene wahr? Welchen Grund hat der Klos in meinem Hals? Und auch ganz wichtig: Geht’s mir gut? Warum geht’s mir gut?

Wir fokussieren uns ja meist auf das Negative: Ich bin so ein Trottel! Was habe ich denn jetzt schon wieder gemacht? sind innere Sätze, die jeder von uns kennt. Wenn ich vorschlage, sich selbst auch mal zu loben, herrscht gemeinhin Verwunderung bei den Klienten. Selbstbeweihräucherung ist nach wie vor komisch.

Allerdings würde keiner von uns Erwachsenen mit seinen leiblichen Kindern so hart ins Gericht gehen wie mit sich selbst. Hier ist man voll des Lobes und geht durchaus lösungsorientiert bemüht mit schwierigen Situationen um. Konstruktive, wohlwollende Selbstkritik gehört genauso dazu wie Eigenlob. Nur runter machen sollte sich keiner. Das ist immer ein Zeichen eines niedrigen Selbstwertes.

 

Was, wenn ein Partner ein massives Selbstwertthema hat?

Ich arbeite durchaus im Beisein des Partners am System des ein oder anderen, denn das fördert das gegenseitige Verständnis. Muss einer von beiden tiefer gucken, biete ich zwischendurch auch Einzelsitzungen an. Dabei bin ich äußerst vorsichtig, denn es darf kein Eindruck einer Parteilichkeit entstehen. Bei tief greifenden Problemen, wenn eine intensive Einzeltherapie notwendig ist, empfehle ich allerdings eine gute Kollegin.

 

Worin siehst Du den größten Vorteil von Deinem Tool?

Patchwork mit dem inneren Kind ist ein leicht verständlicher und sehr einleuchtender Ansatz. Meine Klienten nehmen das Bild mit den Holzklötzchen für sich mit. Wenn sie verstanden haben, wie sie in unterschiedlichen Situationen zueinander stehen, dann können sie das zu Hause sehr gut wieder abrufen. Vor allem rational und analytisch denkende Leute holt man damit gut ab.

Die Psychologin Alexandra Hartmann hat vor 12 Jahren im IFW die Weiterbildung zur Systemischen Individual-, Paar- und Familientherapeutin abgeschlossen und arbeitet seitdem erfolgreich in eigener Praxis in München.

2015 hat sie ihr erstes Buch „Gut beenden. Erfolgreich suchen. Neu lieben.“ veröffentlicht. Hier beschreibt sie vielfältige Wege heutiger Partnerschaften und was in den verschiedenen Beziehungsphasen beachtet werden sollte.

Anfang 2017 ist ihr zweites Buch „Meine Bedürfnisse, Deine Bedürfnisse“ erschienen. 

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